Süddeutsche Zeitung vom 12. Juli 2008
Bis der Verstand zerrieselt von Reinhard Schulz

Uraufführung: die Karl-Valentin-Chorsymphonie von Helga Pogatschar

Texte von Karl Valentin zu einem oratorienartigen Chorwerk aufzublasen, das ist etwa so, als wolle man mit einem Dreirad und ungedopt die Tour de France gewinnen. Das weiß Helga Pogatschar, die Ersteres im Auftrag der Stadt unternommen hat, natürlich auch. Aber das Absurde daran hat auch sein Bestechendes, und in Gefilden des Absurden hat sich Münchens größter Komiker und Linksrum-Denker immer gern bewegt; er überdehnte das Komische so weit, dass auf der anderen Seite das Existenzphilosophische hervorlugte. Helga Pogatschar ist eine Komponistin, die sich in den winkeligen Bereichen der Musik wie ein Fisch im Wasser bewegt: Da sind Arbeiten für Kinder wie zum Beispiel „Der Krokoolm und die Eintagsgans“, da gibt es viel fürs eher abseitige Musiktheater, Hörspielproduktionen, und auch Humperdincks opulente Oper „Hänsel und Gretel“ hat sie zu einer niedlichen Besetzung eingedampft. Stets scheint ihr der Schalk im Nacken zu sitzen, den sie auch gerne aufs Publikum hinüberhüpfen lässt, doch durch die Ritzen gucken immer wieder Fragen, die mystische Tiefen und ernste Hintergründe streifen. Dass das Traurige des Daseins nur als Witz zu ertragen ist, das hatte Valentin immer gespürt, und Pogatschar sieht es wohl ähnlich.
„Valentin hat viel von der Penetranz der Kinder, die immer noch mal ,Warum?‘ fragen, bis den Eltern Sinn und Argument und letztlich Verstand zwischen den Fingern zerrieseln. Es ist die Strategie des permanenten Zerklaubens und Zerlegens“, sagt Pogatschar – und so machte sie sich denn auch ans Werk. Die Vokalsolistin Salome Kammer, der Via-Nova-Chor München, Capella Vocale München, die Münchner Chorbuben und Chormädchen sowie ein Kammerensemble werden gleichsam links umgestülpt. Die große expressive Geste, die die Besetzung implizieren könnte, wird „schräg und skurril, zickig und hakelig“.
Das beginnt mit dem Dialog über die Vielseitigkeit der Kartoffel gegenüber der Einseitigkeit der Gans: wobei schon das Vielseitige angesichts der oval runden Gestalt der Kartoffel klemmt. Der Text stammt aus der Zeit kurz nach dem Krieg, wo die Kartoffel eher rar und von einer Gans allenfalls zu träumen war. Kartoffeln sind zu sieden, braten oder rösten, man kann auch Kartoffelknödel aus ihnen machen. Aber niemals kann man Gansknödel machen, beruhigte damals Valentin die hungrigen Gemüter, Der Dialog wird zugespielt, dem Chor obliegt es, den appetitlichen Disput mit Bumm!, Peng!, Zack! und Kawumm! und sirenenartigem Geheul kriegs-oder nachkriegs-unecht zu garnieren. Auch das lädierteEnsemble (Blockflöte, Klarinette, Posaune, Klavier und Schlagzeug) trägt seinen Teil schrullig erhitzt dazu bei.
Die Textbasis zu den Teilen zwei und drei des insgesamt etwa 35-minütigen Chorwerks bildet ein Brief, den Valentin im Oktober 1945 aus dem „Ausland Planegg“ an den damaligen Münchner Oberbürgermeister richtete. Er bat um Wiedereinbürgerung. „Nun steh‘ ich da, ich magerer Mann, 98 Pf. Körpergewicht, und fange wieder von vorne an. … Ich war noch nie in meinem Leben Soldat und war noch nie bei einer Partei. Ich war selbst Partei im Hause vier, zweiter Stock Mariannenplatz, aber nur Mietpartei; Mietparteien sind von der Militärregierung genehmigt. Als echter geborener Münchner nehme ich mit absoluter Sicherheit an, dass ich bis morgen oder längstens bis in vier Wochen wieder wenigstens eine kleine Wohnung mit drei Zimmer und Küche bekomme (wegen meines Asthmaleidens im Parterre oder ersten Stock-nicht höher). Es kann auch einevon Nazis abgelegte Wohnung sein.“
Ein Nachkriegsdokument der verquer gefalteten Logik. Im Teil zwei wird es als individuelle Petition behandelt, im dritten Teil dann bläht es sich mit chorischer Gewalt zur allgemeinen Krawallbewegung, zum Marsch aller gegen das Rathaus. Valentin musste zu dieser Zeit vom Münchner Hörfunkdirektor (mit charakteristischer Weitsicht, die wir von solchen Instanzen immer wieder erleben) erfahren, dass sein Humor im Nachkriegsdeutschland nicht mehr gefragt sei. Ein Irrtum mehr, eine Marginalie mit bitteren Aspekten für den Betroffenen. So reichen sich in Pogatschars Werk Absurdes und Tragik die Hand und unterminieren sich gegenseitig. Die Musik scheppert querständig, stolpert über die eigenen Rhythmen und Metren, sie tut martialisch und protzig und kann dabei die dünne Luft, in der sie sich bewegt, nur schwer bemänteln. So trifft sie den Ton, indem sie ihn verfehlt. Auch das war immer Ingredienz der Texte Valentins.

Süddeutsche Zeitung vom 4. Januar 2008 

Kartoffel-Prolog zur Valentin-Symphonie von Reinhard Palmer
Helga Pogatschars außergewöhnliche Komposition zum Münchner Stadtjubiläum

Starnberg/München. Einmal jährlich präsentieren sich die Chöre Münchens im Glanz der Münchner Philharmonie am Gasteig. Dass dies im Rahmen der Feierlichkeiten zum diesjährigen 850. Stadtjubiläum ein besonderes Ereignis wird, soll nicht zuletzt auch der in Starnberg lebenden Komponistin Helga Pogatschar zu verdanken sein. Sie traf die Ehre, eine Auftragskomposition dafür zu liefern. Allerdings eine nicht gerade leichte Aufgabe, sollte doch der Text – so die kuriose Vorgabe – von Karl Valentin stammen.
„Ich hatte Probleme, die Texte zu vertonen“, berichtet Pogatschar vom anfänglichen Ringen mit den humoristischen Wortverdrehungen Valentins, die in ihrer Sperrigkeit nicht gerade auf einer Wellenlänge mit Chormusik liegen. So begab sie sich auf die Suche nach weniger populärem Material, das nicht zuletzt auch mehr über den Menschen Valentin vermitteln sollte. Ein Bittbrief an den Bürgermeister Karl Scharnagl vom Oktober 1945 lieferte schließlich die geeigneten Worte, „Einblick in sein ganzes Wesen“ zu vermitteln, so Pogatschar. „Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister! Was ist mit mir? Bin ich ganz vergessen?“, wandte sich darin aus dem „Ausland“ Planegg der Ausgebombte an den Stadtvater mit der Bitte, ihm eine Rückkehr in die geliebte Stadt zu ermöglichen.
Ein Kontext, in dem ein nicht unbedeutendes Kapitel der Stadtgeschichte verborgen liegt. So wird man an den Krieg erinnert, an das Sich-Arrangieren mit dem Nazi- Regime, an den Umgang mit nicht für jedermann liebsamen illustren Bürgern der Stadt, schließlich an die Tragödie von 1945 und den anschließend mühsamen Neubeginn.
„Er ist ein Meister der skurrilen und grotesken Literatur“, begeistert sich Pogatschar für Valentins Sprache in inhaltlicher Hinsicht und erkennt Züge eines Dadaisten. Ein Anknüpfungspunkt für die Komponistin in musikalischem Bezug, liegt doch gerade darin eine durchaus übertragbare Abstraktion. Geeignet genug, um ein gut halbstündiges, nahezu symphonisches Werk in drei Sätzen zu entwerfen. Die Gratwanderung zwischen Tragik und Komik lieferte denn auch die ideale Problematik für Pogatschars Kompositionsweise, die gerne im Bereich der Minimal Music nach vieldeutigen Nuancen forscht und vor kuriosen Wirkungen nicht zurückschreckt. So skandieren bisweilen ihre Chöre abstruse Worte – etwa „braten, sieden, rösten“ im Kartoffelprolog – zu comicsprachlichen Kriegsgeräuschen oder fallen im Rhythmus des Zwiefachen ins holpernde Wippen. Mit der doppelchörigen Anlage fand Pogatschar einmal mehr zu einem spannungsreichen Dialog, dem die zehn in der Neuen Musik prominenten Begleitmusiker – mit Blockflöte, Posaune, Klarinette, Schlagzeug, Klavier und Cello – eine extreme Kontrastwir kung beisteuern. Mit der Stimmkünstlerin Salome Kammer wird schließlich auch ein Solopart mit weit reichenden Möglichkeiten der menschlichen Stimme für ein avantgardistisches Klangbild sorgen, dem etwa 130 Sänger der Chöre Viva Nova, Capella Vocale München und Tölzer Knaben unter der Leitung des Rundfunkchor-Leiters Peter Dijkstra einen gewaltigen Rückhalt bieten sollen.

Die Uraufführung ist am 13. Juli.

Arbeiten für Kinder wie zum Beispiel „Der Krokoobn und die Eintagsgans“, da gibt es viel fürs eher abseitige Musiktheater, Hörspielproduktionen, und auch Humperdincks opulente Oper „Hänsel und Gretel“ hat siezu einerniedlichen Besetzung eingedampft. Stets scheint ihr der Schalkim Nacken zu sitzen, den sie auch gerne aufs Publikum hinüberhüpfen lässt, doch durch die Ritzen’gucken immer wieder Fragen, die mystische Tiefen und ernste Hintergründe streifen. Dass das Traurige des Daseins nur als Witz zu ertragenist, das hatteValentinimmer gespürt, und Pogatschar sieht es wohl ähn-. lieh.