„mars macht mobil“
tob, SZ Münchener Kultur, November 1995

…Betrachtet man die musikalische Seite von Mars, so hat die Münchner Komponistin … eine Brücke gebaut, die in der zeitgenössischen Musik ausgesprochen selten und daher um so wertvoller ist. …

…Mit viel Akribie und Findigkeit hat hier die Künstlerin Töne gesammelt und gesampelt, um schließlich der Partitur Note für Note ein Eigenleben einzuhauchen. Hinzu kommen die fünf Singstimmen, drei Frauen und zwei Männer, die dank der sensiblen musikalischen Leitung durch Alexander Zimmermann souverän ihren Teil meistern. Man spürt, wie genau der lateinische Text in die Notation eingepasst wurde.

„Auf den Tasten die Totenruhe stören“
FOCUS, 6. November 1995

Crossover unterm Kreuz: Die strenge liturgische Form des Requiems konterkariert Helga Pogatschar auf der CD „Mars“ mit moderner Vokalmusik, Klang-Samples, Heavy Metal-Riffs und Industrial-Gewittern. Ein avantgardistischer Totengesang, in dem sich die 29jährige Komponistin abstrakt mit dem Zyklus von Leben und Tod, aber auch mit der Kirche und deren Machtausübung auseinandersetzt.

„CD des Monats“
MÜNCHENER, November 1995

Hier wird zwar auch nahezu die traditionelle Form des Requiems eingehalten, auch hier finden sich Anklänge an die mittelalterliche Vokalmusik und streng klassische Strukturen, jedoch wird der Hörer beinahe an jeder Stelle der Komposition mit der Wucht und Strenge der Klangstrukturen Pogatschars konfrontiert, nie bleibt Zeit zum Ausruhen, das Stück ist einzig Ausdruck.
…Immer wird gefordert und niemals verläuft sich die Komposition in Klischee und Nachlässigkeit … Diese Musik macht betroffen und leise, diese Musik ist wie ein Abgesang an das Schweigen und Resignieren in solchen unwachen, betäubten und schrecklichen Zeiten, diese Musik ist ein Requiem an unser aller Unmündigkeit.

„Ab in die Wüste“
Christiane Wechselberger, MÜNCHENER, Dezember 1995

Die Musik kommt von der Ausnahmekomponistin Helga Pogatschar, die bereits mit mehreren wichtigen und innovativen Arbeiten überzeugen konnte. Ihre Kompositionen beschränken sich nicht auf das vermeintlich moderne Aufgreifen und Abspulen von Elementen der klassischen Moderne oder das Zitieren verschiedener Stilepochen. Sie schafft wuchtige und strenge Kompositionen, die sich ganz unbefangen elektronischer Klangerzeugung bedienen und souverän mit Ambient und Trip Hop spielen.

Intro.de vom 4. November 1995

Mit dem Requiem ‚Mars‘ wagt sich HELGA POGATSCHAR, die seit Anfang der 90er mit einigen Kompositionen im z. T. experimentellen, audio-visuellen Bereich auf sich aufmerksam gemacht hat, an eine der größten Herausforderungen musikalischer Form – bieten sich doch mit den Totenmessen von Mozart, Verdi, Britten und anderen Großen der Musikgeschichte einige der bisher schönsten Kompositionen überhaupt zum Vergleich an. POGATSCHARs Requiem wird von einem fünfstimmigen Vokalensemble gesungen, das auch in den anspruchsvollen Passagen zu überzeugen weiß. Der Instrumentalpart wurde von der Komponistin selbst in eindrucksvollen Keyboard-Klängen realisiert, deren Ausgangsbasis gesampelte und verfremdete natürliche Klänge darstellen. Samples aus Schellack-Aufnahmen von Oscar Schellbach, dem Begründer der systematisierten Autosuggestion, treiben den Hörer mit ihrer hypnotischen Wirkung in ein Wechselbad aus Faszination und Ekel, durch das die mal brutal-rauhen, mal irritierend schönen Strukturen der Musik sehr tief wahrnehmbar werden. Immer wieder wird der klassische Requiemtext Sätzen Schellbachs gegenübergestellt, die suggestive Wirkung der alten Kirchentexte mit der moderner (in der NS-Zeit mißbrauchter) Psychologie verglichen. Nach dem Titelstück, dessen Bezug zu diesem Requiem mir leider nicht ganz klar wurde, gelangt man vom bedrohlichen ‚Introitus‘ über die aggressiven ‚Kyrie‘, ‚Graduale‘ und ‚Tractus‘ zur eingängigen ‚Sequentia‘: Hier wird -ironisch überspitzt – dem armen Menschenwurm wortreich verkündet, welche Schrecken ihm der Jüngste Tag bringen wird. Nach dem Opfergesang (‚Offertorium‘) beginnt mit den zentralen Sätzen ‚Sanctus‘ und dem wunderschönen ‚Agnus Dei‘ die Auflösung: Die bedrohlichen Farben schwinden langsam, nach dem ‚Qohelet‘ (dem jüdischen ‚Talmud‘ entnommen) bleibe ich in einer Art erlöster Traurigkeit zurück. Alles in allem ist diese CD für ein ‚Pop-Label‘ ein erfreulich mutiges Experiment, dem es vielleicht gelingt, neue Hörer für ’neue Klassik‘ zu gewinnen. Für alle, die latent an E-Musik interessiert sind, ist diese sicherlich nicht leicht zugängliche CD auf jeden Fall empfehlenswert.

Wissenschaft macht Politik von 1997
Geheimnis und Gemeinschaft von Alfred Schobert

„Es geht um das Machtstreben der Menschen, der politischen und religiösen Institutionen. Es geht um Machtarchitektur, Gewaltbereitschaft und Massensuggestion.“ (Pogatschar im Münchener Stadtmagazin PRINZ (11/95, 76)
Ein Gespenst geht um im Mars-Requiem. Plötzlich taucht es auf, gesampelt, zu Beginn des Kyrie. Störend, verstörend und gestört. Und eben nicht als zu neuem Leben erwachter Geist. Nichts an diesem Gespenst bleibt geheimnisvoll, der Wiedergänger wird im Booklet als Oscar Schellbach identifiziert, die Quelle, die alte Schellackplatte Seelephonie namentlich genannt und historisch und politisch kritisch verortet: die Anfänge der Autosuggestion im nazistischen Deutschland. Doch mit dieser Verortung allein ist es nicht getan. Akustisch wird das Geheimnis gebrochen, indem die kratzenden Begleitgeräusche der alten Aufnahmen nicht herausgemischt werden. Dieses Knistern, sinnloses „Rauschen“ (im Unterschied zu Information), bekommt bei Pogatschar Sinn. Eine technische Unzulänglichkeit wird ins musikalische Material integriert. Asignifikantes wird signifikant. Vom ersten Moment ihres Auftretens wird der einschläfernden Beschwörung des Wiedergängers aus der Tonkonserve („Du hörst jetzt sehr schön zu, was ich dir sage. Kleine Kinder sind lieb und artig, und du bist auch ein artiges und liebes Kind, nicht wahr?“) widerstanden. Nicht widersprechend, per distanzierendem Kommentar. Sondern musikalisch: Donnerschlägen gleich antwortet ein brachialer Sound der Beschwörung, die hinter der autoritären Weisung lauernde Gewaltdrohung illustrierend und den Hang zu andächtigem Lauschen zertrümmernd. Noch bevor das erste „Kyrie“ anhebt, fährt das Schellack-Gespenst mit seiner autoritären Einschläferung fort: „Artige Kinder gehorchen immer brav ihren Eltern und weinen nicht.“ Nun wechseln „Kyrie“ und beschwörend repetierte Schlaf-Formeln, bis das „Kyrie“ mit Kratzen und dem Geräusch der auslaufenden Plattennadel ausklingt.
(Zuerst erschienen in: Wissenschaft macht Politik. Intervention in aktuelle gesellschaftliche Diskurse. Siegfried Jäger zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Gabriele Cleve, Ina Ruth, Ernst Schulte-Holtey u. Frank Wichert. Münster: Westfälisches Dampfboot 1997, S. 384-395)

ÜBERFALL vom Januar 2007
Helga Pogatschar – „Mars Requiem“

Muss man besonders christlich sein, um eine Vorliebe für Reqiuen zu haben? Ich denke nicht. Mozart glänzte besonders mit einem Requiem, Antonin Dvor `´ák und Gabriel Fauré spendeten uns sehr schöne und auch Krysztof Penderecki packte seine eindringliche Dramatik in eines. Durch die Todesthematik bleibt eine Dramatik nie aus, sieht man mal vom Teil „In Paradisum“ ab. Wer nun ein bisschen Ahnung von Mythologie hat, weiß dass Mars der Gott des Krieges war und entsprechend geht es bei Helga Pogatschar um den tödlichen Schrecken des Krieges. Zur Umsetzung setzt die Künstlerin eine Sopranistin, zwei Mezzosopranistinnen, einen Tenor und einen Bass als Stimmen ein, es wird teilweise in Obertönen gesungen und zur Instrumentierung reicht elektronisches Equipment aus. Das Ergebnis zwischen moderner Klassik und Avantgarde ist sehr eigen und drastisch verstörend. Dem klassischen christlichen Liturgietext wurde noch ein jiddischer Teil hinzugefügt und obendrauf gibt es unglaubliche Samples von einer Suggestions-Platte von Oscar Schellenbach aus den 30er Jahren („Nur als höherer Mensch hast du Daseinsberechtigung, sonst bist du faul und krank und verdienst den Untergang.“). Wer mit Anspruch etwas anfangen kann, kommt am „Mars Requiem“ nicht vorbei.